Intrazelluläre Sortier- und Transportsysteme in hereditären spastischen Spinalparalysen - in vitro und in vivo Modelle zur Untersuchung der Rolle von Atlastin und KIF5A


Dr. med. Clemens Neusch Zentrum Neurologische Medizin der Georg-August-Universität Göttingen, Robert-Koch-Strasse 40, 37075 Göttingen, Tel.: +49-(0)551-3912838, Email: cneusch@gwdg.de

und

PD Dr. rer. nat. Frank Kirchhoff Neurogenetik, Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin, Göttingen, Tel.: +49-(0)551-3899770, Email: kirchhoff@em.mpg.de

Die hereditäre spastische Spinalparalyse (HSP) stellt eine genetisch und klinisch heterogene Erkrankungsgruppe dar. Es wurden mittlerweile 30 beteiligte Genloci (SPG1-30) bestimmt, in denen HSP-assoziierte Mutationen nachgewiesen werden konnten. 11 verschiedene Gene konnten bisher identifiziert werden.

ie physiologische und pathophysiologische Funktion der Genprodukte ist nur zu einem Bruchteil charakterisiert. Es werden Störungen in der Signaltransduktion, der Zellmigration, Myelinisierungsstörungen und Abnormalitäten mitochondrialer Chaperone bzw. Defekte im intrazellulären Transport, in Abhängigkeit des jeweils definierten Genproduktes diskutiert. Ein Großteil der Erkrankungen mit ‚reiner’ Verlaufsform ist assoziiert mit Mutationen der Genloci, die für Spastin (SPG4), Spartin (SPG20), Atlastin (SPG3a) und KIF5A (SPG10) codieren.

Im vorliegenden Projektantrag sollen zwei dieser beteiligten Proteine, KIF5A und Atlastin, untersucht werden. Störungen der Funktion beider Proteine haben Modellcharakter für die HSP: Mutationen im Atlastin-Gen führen vermutlich zu intrazellulären Störungen des Proteintransports im Golgi-Apparat, während Mutationen im KIF5A-Gen verantwortlich für Defekte im axonalen Mikrotubulus-System sind.

Beide Proteine sind damit in wichtigen dynamischen Verkehrssystemen der Zelle beteiligt. Wir gehen davon aus, dass erkrankungsrelevante Punktmutationen zu Störungen des Transports vom endoplasmatischen Retikulum zur Plasmamembran im Falle von Atlastin und zum fehlerhaften anterograden Transport entlang des neuronalen Axons bei mutiertem KIF5A führen. Die Analyse der Dynamik der beiden genannten Transportsysteme in Gegenwart von mutiertem Atlastin bzw. KIF5A stellt eine wichtige Voraussetzung zur Aufklärung des molekularen Pathomechanismus und damit für einen Therapie-Ansatz dar.

Die Klärung der nachfolgenden Fragen ist Ziel des Projekts:

  • Wie und mit welchem subzellulären Expressionsmuster sind Atlastin und KIF5A in die zellulären Sortier- und Transportmechanismen eingebunden?
  • Welchen Einfluß haben die bei Patienten gefundenen Mutationen auf diese dynamischen Zellsysteme?

Zur Beantwortung der Expression und funktionellen Rolle von Atlastin und KIF5A werden derzeit Atlastin-EGFP und KIF5A-EGFP Fusionsproteine hergestellt. Die Fusionsproteine sollen dann in heterologen Expressionssystemen untersucht werden. Bei Funktionalität des jeweiligen Konstrukts soll eine Transfektion von neuronalen Zellen erfolgen, um die subzelluläre Lokalisation der Proteine zu untersuchen. Hierbei wird der Schwerpunkt, basierend auf der aktuellen Studienlage, auf der Interaktion dieser Proteine mit dem axonalen Transportsystem und Mikrotubuli (KIF5A) bzw. dem Golgi-Apparat (Atlastin) liegen. Gegenfärbungen mit Golgi- und Tubulin-Markern sollen Aufschluss über Veränderungen dieser wichtigen zellulären Transportstrukturen als Folge der Überexpression des jeweiligen Fusionsproteins geben. Desweiteren sollen ‚life imaging’ Experimente an transfizierten Zellkulturen per konventioneller Epifluoreszenz-Mikroskopie (Axiovert/PCO CCD Camera) aber auch durch Ein- und Zwei-Photonenlaserscanmikroskopie durchgeführt werden. Durch diese Experimente können zelluläre/axonale Proteintransportmechanismen (z. B. ‚missorting’ des Golgi-Apparats, Akkumulation toxischer Produkte am Golgi-Apparat oder ein gestörter axonaler Transport) untersucht und Störungen identifiziert werden, die durch WT-Überexpression ausgelöst werden.

In einer späteren Phase des  Projekts sollen mittels ‚site-directed mutagenesis’ definierte humane Mutationen in Atlastin und KIF5A eingebracht werden. Die mutierten Fusionsproteine sollen anschliessend in vitro auf Störungen der zellulären und axonalen Integrität untersucht und mit entsprechenden Kontrollen verglichen werden. Schwerpunkt der Untersuchung soll erneut auf Zytoskelettfilamenten, insbesondere Golgi-Apparat und den Mikrotubuli liegen (α-und β-Tubulin). Die transfizierten Zellen sollen Aufschluss über eine mögliche Reduktion, z. B. der intrazellulären Tubulin-Menge oder des Golgi-Apparates ergeben. Es soll hierbei versucht werden, die gestörte Funktion des mutierten Proteins genauer zu definieren (‚loss of function’, ‚gain of function’, ‚toxische Akkumulation’).  Mit der geplanten Studie sollen neue Erkenntnisse über das subzelluläre Expressionsmuster und Funktion beider Proteine gewonnen werden. Die Untersuchung dieser Proteinen mit bekannten humanen Mutationen soll helfen pathophysiologische Mechanismen aufzuklären, deren Kenntnis als Voraussetzung für neuro-und axoprotektive  Ansätze anzusehen ist.